Sommersemester 1994

Liebe Filmfreunde,

hier haltet Ihr es wieder in den Händen das Produkt unserer nächtelangen Rangeleien um die Programmauswahl. Nicht, daß jemand auf die Idee käme, wir trieben diesen Aufwand nur zu Eurem Vergnügen oder zur Huldigung der Filmkultur. Nein, nein, das ist alles viel grausamer: Getrieben von Machthunger und Profilierungslust trachtet ein jeder von uns danach, möglichst viele seiner Lieblingsfilme durchzuboxen.

Da ist uns jedes Mittel recht! Der beste Freund und die beste Kumpanin werden betrunken gemacht, um schließlich in einem Augenblick der Nachgiebigkeit eine Einwilligung zu erhalten.

Böse Gerüchte und Verleumdungen werden lanciert, um Widersacher auszubooten. Alles ist vergleichbar mit den ärgsten Tarifverhandlungen.

Das Ergebnis allerdings kann sich sehen lassen — immerhin galt es, unser 80. Semesterprogramm zu gestalten. Dazu haben wir uns natürlich einige Besonderheiten einfallen lassen:

Eine Live-Flamenco-Show zu „Carmen“, das geplante Open-Air mit „Wir können auch anders“, die Kino-Weltpremiere von „Magic Müller“ und weitere erstmals in Darmstadt zu sehende Filmen wie „Börsday Blues“ und „Das Land der Pfirsichblüte“. Besonders stolz sind wir darauf, daß es uns gelungen ist, die Aufführungsrechte für „El lado oscuro del corazon - Die dunkle Seite des Herzens“ nach unzähligen Telefongesprächen und Faxen nach Berlin und Montreal bekommen zu haben, den wir letztes Jahr auf der Berlinale gesehen haben und unbedingt auch bei uns zeigen wollten.

Auch Klassiker der Filmgeschichte dürfen bei einem solchen Jubiläum nicht zu kurz kommen, dafür ist wieder einmal unsere Filmreihe, dieses Semester zum Thema „Film Noir“, zuständig. Die französischsprachigen Filme in Zusammenarbeit mit dem ESOCCine-Club gibt es auch wieder. Für Filmvorschläge von Euch sind wir natürlich auch jederzeit offen, ebenso wie für neue aktive Mitarbeiter.

Ihr findet uns im Keller unter der Otto-Berndt-Halle, wo wir uns regelmäßig vor und nach den Vorstellungen, an jedem ersten Montag im Monat um 19.00 Uhr und auch sonst öfters mal tagsüber (insbesondere zur Mittagszeit beim Verzehr der kulinarischen Genüsse aus den Schlemmerküchen über uns) treffen. Telefonisch sind wir dort unter 16-33 39 zu erreichen, Computer-Freaks können unser Programm über den gopher-Server der THD unter dem Stichwort „Rund um die Hochschule“ abfragen und dort auch Nachrichten hinterlassen.

Und sonst? Der Eintrittspreis bleibt natürlich bei DM 3,-, der Mitgliedsausweis für ein Jahr ebenso (gilt für Studenten aller Hochschulen sowie für Mitarbeiter aller Darmstädter Hochschulen).

Die Filme laufen, soweit nicht besonders vermerkt, dienstags bzw. donnerstags um 20.00 Uhr im Audimax der THD, und auch dieses Semester haben wir für jeden Termin (außer der Filmreihe und den ESOC-Filmen) einen kurzen Vorfilm bestellt, was manchmal kurzfristig abgesagt werden muß, da die Filmemacher meist nur ein oder zwei Kopien haben, die oft von irgendwelchen Festivals nicht rechtzeitig weitergeschickt werden können.

Das wär's zu diesem Semester; im Wintersemester wird natürlich kräftig weitergefeiert.

Des weiteren gilt natürlich, was auch 65/66 schon in unserem Programm stand: „Das Mitbringen von Bänken und Stühlen ist verboten; ebenso rauchen, priemen und ausspucken, sowie das Sprechen mit dem Cinematographenoperateur während der Vorführung. Singen, Pfeifen und Johlen sind während und nach der Vorstellung zu unterlassen.

Damens, welche Lust haben, können mitkommen!

Ihr Filmkreis!“

80 Semester Filmkreis — aus der Idee ein paar Filmbegeisterter wurde eine Institution unserer Hochschule. Doch heben wir uns den Rückblick zum vierzigjährigen Jubiläum für das Wintersemester auf. An dieser Stelle nur ein paar Worte zum aktuellen Sommersemester.

1993 war ein guter Jahrgang für den Deutschen Film. Nachdem „Allein unter Frauen“ das Eis gebrochen hatte, war es nicht mehr so wichtig, ob die Illusionen auf der Leinwand in den Hügeln Hollywoods oder im südlichen Schwarzwald abgedreht wurden. Hauptsache Story und Schauspieler „stimmten“ und jemand machte sich Gedanken über die Dialoge. So entstanden spritzige Kommödien und bitterschwarze Tragödien. Der Südwestfunk rief eine Reihe ins Leben, mit der jungen Absolventen der Filmhochschulen und auch alten Hasen z.B. aus der Werbung Gelegenheit gegeben wurde einen Spielfilm zu realisieren. Wir zeigen aus dem „Debut im Dritten“ Tobias Bohns „Magic Müller“ und noch andere deutsche Produktionen des letzten Jahres, die eine große Leinwand wirklich verdient haben.

„Aus aller Welt“, so könnte der Titel unseres restlichen Programms lauten: Argentinien, Neuseeland, Spanien, Taiwan, Kanada und zwei unabhängig produzierte Filme aus den USA. „Independent“ ist hier Prädikat, denn Hal Hartleys Film „Simple Men“ steht weit über der alltäglichen Hollywood-Kost.

Diesem Monopol können auch wir uns nicht verschließen, jedoch beschränken wir uns auf untypische Produktionen:

Das „Dschungelbuch“ ist inzwischen in den Olymp der Klassiker aufgestiegen, Cynthia Scotts „Unter Fremden“ besticht ebenso durch die ungewöhnliche Story wie die außergewöhnlichen Schauspieler. „Täglich grüßt das Murmeltier“ ist jenseits von Gut und Böse stehende, perfekte Unterhaltung.

Dieses Semester widmet sich unsere Film-Reihe dem „film noir“, dessen fünfzigster Geburtstag bald ansteht.
Dabei verzichten wir auf die Klassiker.
Vielmehr möchten wir die Entwicklung und den Einfluß des „film noir“ aufzeigen. Dafür haben wir seltene Leckerbissen des französischen poetischen Realismus („Quai de brumes“) und einen aktuellen Film, der in Darmstadt noch nicht lief: „Red Rock West“ mit Nicolas Cage und Dennis Hopper. In diesem Zusammenhang sei noch „La vie de bohéme“ erwähnt.
Diesen Kaurismäki-Film präsentiert der ESOC-CineClub im französischen Original mit deutschen Untertiteln, ein schönes Beispiel für den heutigen Einfluß des film noir. Viel Spaß!