Wintersemester 1956/1957

Vor nunmehr genau zwei Jahren begann der „Studentische Filmkreis THD” seine Arbeit — zu einer Zeit, als in den Kreisen der Darmstädter Filmtheaterbesitzer offenbar noch die Ansicht herrschte, daß der gute Film kein Publikum habe, was inzwischen durch die Erfolge wenigstens zweier Filmtheater widerlegt wurde. Das Unternehmen „Darmstädter Filmfreunde” suchte einen Ausweg aus dieser Situation, indem es sich um die Vorführung wertvoller Filme in Spätvorstellungen und Matineen bemühte. Das Ergebnis freilich war niederschmetternd, umsomehr, als sich das kleine Häuflein Interessierter in einem Theater mit annähernd 1000 Plätzen besonders kläglich ausnehmen mußte. Unter den wenigen Unentwegten aber fehlten die Studenten fast völlig. Sollten sie wirklich ein getreues Spiegelbild der übrigen durchschnittlichen Kinobesucher sein — allenfalls noch mit einer stärkeren Neigung zum „Westerner" und „Krimi"? Der damalige AStA-Kulturreferent glaubte, die Studenten verteidigen zu können, indem er darauf hinwies, daß viele von ihnen über das Wochenende Darmstadt verließen und somit die Spätvorstellungen am Samstag und
die Sonntagsmatineen beim besten Willen nicht besuchen konnten. Die Entwicklung des Filmkreises sollte ihm recht geben.
Der damalige AStA-Vorstand mußte freilich ziemlich lange bearbeitet werden, bevor er sich mit einer heroischen Geste zur leihweisen Überlassung von 100 Mark als Starthilfe für den zu gründenden Filmkreis bewegen ließ — wobei er im übrigen restlos überzeugt war, das Geld nie wiederzusehen. Aber selbst als er wider Erwarten sein Geld zurückbekommen hatte, war er heilfroh, als sich der Filmkreis eines Tages vom AStA lossagte und somit der AStA jeglicher Verantwortung für diese „unsichere" Unternehmung enthoben war.
Das erste Programm-„Het“ des Filmkreises bestand aus einem einzigen Blatt von der Größe eines normalen Schreibmaschinenbogens, es wurde mit Wachsmatritzen „gedruckt" und während einer AStA-Sitzung in schöner Gemeinschaftsarbeit von Hand gefalzt. Es enthielt 5 Filmtitel aus 5 verschiedenen Ländern. Dieses Programm fand in der Studentenschaft ein solches Echo, daß schon vor Beginn der ersten Veranstaltung die Zahl der ursprünglich vorgesehenen Vorstellungen verdoppelt werden mußte.

Inzwischen konnten wir längst dazu übergehen unsere Programmhefte im Buchdruck herstellen zu lassen und das vorliegende — abermals erweitertee Heft bringt Ihnen zum ersten Male auch Bilder aus Filmen unseres Programms. Wer die Entwicklung des Filmkreises aufmerksam verfolgt hat, wird schon im ersten Programmheft eine Bemerkung gefunden hoben, die später nachgerade zu einer stereotypen Redewendung geworden ist und die Sie in diesem Heft zum ersten Male vergeblich suchen werden — Das „Ceterum censeo” des Filmkreises: „Ohne Normalfilmvorführmöglichkeit sind wir bald am Ende!" Über diese Erkenntnis konnten auch die Schmalfilmverleiher nicht hinwegtäuschen, die ihre Kataloge jedesmal mit der Beteuerung „Unübertroffen!!!" (drei Ausrufungszeichen!) zu zieren pflegten. So waren wir sehr glücklich, als sich — Dank dem Entgegenkommen der Theaterleitung — die Möglichkeit ergab, Spätvorstellungen mit Filmen, die nach unserer Meinung im Rahmen des ieweiligen Programms nicht fehlen durften, im Rexfilmtheater durchzuführen. Als wir jedoch die erste Nachtvorstellung im Rex ansetzten, taten wir dies mit sehr gemischten Gefühlen und warteten mit einigem Bangen, ob überhaupt jemand zu dieser Vorstellung erscheinen würde. Doch „man" kam. Man kam sogar in solchen Scharen, daß unser ganzes Kontrollsystem zusammenbrach und der Kinosaal restlos überfüllt war was dann den Anstoß zum Druck von eigenen, numerierten Platzkarten gab.
Inzwischen sind die Spätvorstellungen im Rex schon ein fester Bestandteil unseres Programms geworden. Aber wenn uns auch mit dem Rex vielleicht das schönste Kino und mit Sicherheit die besten Vorführer Darmstadts zur Verfügung stehen, so hat diese Lösung eben doch einen Schönheitsfehler: viele unserer auswärtigen Mitglieder können diese Vorstellungen nicht besuchen, da sie mitten in der Nacht nicht mehr nach Hause kommen können. Was im vorigen Programmheft angedeutet wurde, ist uns jetzt zur freudigen Gewißheit geworden: Spätestens mit Beginn des Sommersemesters 1957 wird uns in der ehemaligen Aula ein zwar kleiner, aber sicher schörer Filmsaal zur Verfügung stehen, dessen technische Ausrüstung kaum noch Wünsche offen lassen wird.
Im kommenden Semester werden wir noch bei der bewährten Zweigleisigkeit unserer Veranstaltungen bleiben: 16mm-Schmalfilme in der Hochschule - 35-mm Normalfilme nachts im Rex-Filmtheater. Ja, wir führen sogar noch ein drittes „Gleis" ein, und zwar mit den Vorführungen des Frankfurter Filmsammlers Paul Sauerlaender, der uns mit seinem eigenen transportablen Vorführgerät in drei „Sonder-Sonderveranstaltungen" Kopien von alten deutschen Stummfilmen im 9 1/2 mm-Format zeigen wird.