Wintersemester 1959/1960

Schon im Programm des letzten Semesters zeichnete sich eine Veränderung in den Zielen unserer Filmauswahl ab. War es doch nicht zuletzt die mutige Pionierarbeit der Film-Clubs, die ihr gerüttelt Maß dazu beitrug, den Sinn und das Verständnis für den künstlerisch wertvollen Film in der Öffentlichkeit zu wecken und ihm Eingang in unsere Kinos zu verschaffen. Heute können wir sagen: „Diese Arbeit.
ist getan.”
Der Weg der Film-Clubs jedoch führt zu neuen Aufgaben. Mit uns leben und studieren Kommilitonen aus Ländern, die aus  vielerlei Gründen unserem Verständnis noch ferne liegen. Eine der vornehmsten Aufgaben einer studentischen Gemeinschaft, die sich dem Film verschrieben hat, muß es sein, dieses vorzügliche Kommunikationsmittel in den Dienst besseren Kennenlernens und Verstehens unserer / Partner von morgen zu stellen.
Weiter geht unser Bemühen darauf hinaus, Filme, die aus mitunter unverständlichen Gründen in unseren Kinos fehlen, zur Diskussion zu stellen. Gerade die Tatsache, daß dies oft mit großen und unerfreulichen Schwierigkeiten verbunden ist, zeigt uns die Notwendigkeit dieses Tuns.
Über aII diesen neueren Aufgaben soll die filmhistorische Arbeit des Filmkreises nicht vernachlässigt werden, denn in der Auseinandersetzung mit den klassischen Werken der Filmkunst bietet sich die beste Gelegenheit zur Geschmacksbildung.

Schon seit den ersten Tagen seines Bestehens hat sich der Filmkreis das Ziel gesetzt, neben der „analytischen” Beschäftigung mit dem Film — durch Filmbetrachtung und Filmdiskussion — auch das gleichsam „synthetische” Studium der Ausdrucksformen und -möglichkeiten des Films zu pflegen, d. h. also die eigene Arbeit mit der Schmalfilmkamera. Als im zweiten Jahre des Bestehens schließlich die langersehnte Kamera da war, befand man sich zunächst in der Lage jenes Mannes, der all’ seine Ersparnisse aufgewandt hat, um sich einen leistungsfähigen und modernen Wagen anzuschaffen, und der dann feststellen muß, daß ihm das Geld für das Benzin — hier Filmmaterial — fehlt.

So war der Filmkreis von Anfang an auf „Auftragsarbeit” angewiesen, und die Aufträge waren u. a.: Zwei Dreiminutenfilme, welche für die AStA Wahlen werben sollten, ein Zwanzigminutenfilm über die Leichtathletik-Meisterschaften der Studenten, ein Zehnminutenfilm über die Sprengung von Betonfundamenten einer ehemaligen Flakstellung und ein Zehnminutenfilm über das Thema „Rollneigung von Papier”, der in Zusammenarbeit mit dem lnstitut für Papierfabrikation unserer Hochschule entstand.

Der größte Teil der bisher „abgedrehten” Filmmeter diente der Reportage — insbesondere der Sportreportage — die nicht nur spezielle filmische, sondern im großen Maße auch organisatorische Aufgaben stellt (so wurden z. B. viele Läufe mit drei verschieden postierten Kameras gefilmt). Zwei der bisher produzierten Filme bestanden als Lehrfilme ganz oder teilweise aus Zeichen- bzw. Sachtrickaufnahmen.

Arbeiten im eigentlichen Sinne eines Filmstudios stellten nur die beiden „AStA”—Filme dar. Sie entstanden in einer Studentenbude — für deren Ausleuchtung wegen der schwachen Sicherungen noch von zwei Nachbar-Wohnungen Strom „ausgeliehen” werden mußte — auf Darmstädter Straßen, im Herrngarten, in einem Hochschulinstitut und — nächtlicherweise — im Hochschulvestibül, an der „Heuss-Brücke” und in einer benachbarten, kleinen Gaststätte. Später entstanden ein paar kurze Studien anläßlich der „Godot”-Aufführung des Schauspielstudios unserer Hochschule, wobei versucht wurde, einzelne Szenen aus dem Stück Samuel Beckets filmisch zu gestalten. Bei derartigen Versuchen empfindet man jedoch schmerzlich das Fehlen einer Magnetton—Schmalfilmanlage, weil anders eine „lippensynchrone” Vertonung nicht durchführbar ist.

Im Wintersemester 59/60 — dem 11. Filmkreissemester! — soll die eigentliche Studioarbeit intensiviert werden. Es werden dann zwei eigene Scheinwerfer zur Verfügung stehen, und damit kann der schon seit langem geplante „Schmalfilmkurs” endlich beginnen. In ihm sollen alle interessierten aktiven Filmkreismitglieder mit der Technik und der Handhabung der Kamera vertraut gemacht werden. Weiter wird man sich mit der Kameraeinstellung‚ Beleuchtung und den wichtigsten mit Filmkreismitteln ausführbaren Trickverfahren befassen. Dann wird versucht werden, einzelne Szenen zu gestalten, und schließlich wird man sich gemeinsam ein kurzes Drehbuch überlegen und dies dann zu realisieren versuchen.

Auf diese Weise wird dem Filmkreis in Zukunft ein größerer Stab von Kameraleuten zur Verfügung stehen, was auch der „Auftragsarbeit" zu Gute kommen soll, denn es ist das Bestreben des Filmkreises, dahin zu gelangen, interessierten Hochschulinstituten für etwa geplante eigene wissenschaftliche Filmarbeiten eine Kamera und einen mit der Kamera und ihren Möglichkeiten vertrauten Kameramann zur Verfügung stellen zu können.

rs