Die Puppe

Auch in diesem Winter zeigt der Filmkreis wieder einen Stummfilm mit Live-Klavierbegleitung: „Die Puppe“ von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1919.

Donnerstag, 21.11.2013 20:00 Audimax
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Baron de Chanterelle hat ein Problem: Sein Neffe Lancelot, einziger Erbe, ist noch nicht verheiratet, und zeigt auch keine Ambitionen, das zu ändern. Der Baron trommelt also alle Jungfrauen des Dorfs zusammen, auf dass sich Lancelot schleunigst mit einer von ihnen vermäle. Dieser flüchtet und versteckt sich in einem – definitiv frauenfreien – Mönchskloster, wo ihm die Mönche einen Vorschlag machen: er könne doch wenigstens eine Puppe heiraten. Später trifft Lancelot auf den Puppenmacher Hilarius, der gerade eine Puppe fertiggestellt hat: das exakte Ebenbild seiner schönen Tochter Ossi. Lancelot bekommt eine Idee...

MH


Programmheft WS 1984/1985:

Baron de Chanterelle, ein ewiger Junggeselle ohne (legitimen) Nachfolger, fürchtet, daß er bald sterben muß. Bald nimmt der Wunsch, sein Neffe Lancelot möge es besser machen, konkrete Formen an: vierzig Jungfrauen sind allein hinter Lancelot her, der für sie Geld und Titel verkörpert. Von soviel konkreten Formen verschreckt, flieht Lancelot in ein Kloster, den einzigen Platz, wo seiner Meinung nach Frauen unbeliebt sind. Dort wird er mit Brot und Wasser gespeist, denn auch Gottes Legionen kennen Geldsorgen. Man weiß im Kloster aus diesem Dilemma nur den Ausweg, sich vor lauter Trübsal der Völlerei, der 'harmlosesten aller Todsünden' hinzugeben: bis man erfährt, daß der alte Baron 300 000 Franken bezahlt, wenn sein mißratener Neffe verkuppelt wird. Appelle an Lancelots Mitgefühl bringen ihn dazu, daß er verspricht, statt einer Frau eine Puppe zu ehelichen. Er heiratet das Werk eines berühmten Puppenmachers, eine Puppe, die alles kann: tanzen, sprechen, lieben. Als er ins Kloster zurückkehrt, gibt es keine finanziellen Sorgen mehr, wohl aber fällt es ihm schwer, die Puppe, die er inzwischen liebgewonnen hat, einzuschmuggeln. Als er entdeckt, daß die Puppe in Wirklichkeit die Tochter des Meisters ist, hat er sich volkommen in sie verliebt.
 
...Szenen wie diese sind das Produkt von Lubitschs Einstellung, alles zu reduzieren, bis nur mehr das Lächerliche, Abstrakte, das sich in allem findet, übrig bleibt. Daran zeigt er den Verfall einer Epoche - ohne Zynismus und ohne Rührseligkeit, da er die nächste schon begriffen hat. So sieht er den Heldensagen-Kult des Dritten Reiches voraus, parodiert ihn in der PUPPE, nimmt all den Pomp der Periode in der BERGKATZE vorweg und macht sich in KOHLHIESELS TÖCHTER über bäuerliche Ideale lustig. Die Motive, die ihn dazu führen, sind jedoch nicht politischer Natur, er will nichts verändert. Immer wieder spinnt er seine Fabeln um eine materialistisch orientierte, dekadente Gesellschaft, als deren typischer Vertreter ja er selbst gelten könnte. Seine "Kritik" entspringt der bloßen Feststellung, der Verspieltheit, der Lust, Märchen zu schaffen, die Wahrheit zu überspitzen...

MH