Die Faust im Nacken

Mittwoch, 16.5.1962 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Die Faust im Nacken

Programmheft SoSe 1962:

Es geht bekanntlich um die Niederwerfung einer Gangsterclique, die durch Terror die Führung einer Hafenarbeitergewerkschaft an sich gerissen hat. Nachdem der Arbeiter Terry Malloy sich gegen sie — seine früheren Freunde — entschieden und vor dem Untersuchungsrichter ausgesagt hat, geschieht nicht das Selbstverständliche — jedenfalls für europäische Begriffe —, daß nämlich die Gangster verhaftet werden oder ihnen zumindest der Prozeß gemacht wird, denn sie haben immerhin neben allem anderen ein paar Morde auf dem Gewissen. Der Film hätte dann mit der gerichtlichen Verurteilung enden müssen.
Nein, die Mörder laufen weiter frei herum und führen die Gewerkschaft. Den Beschluß bildet nach dem Willen des Drehbuchs die große Kampfszene zwischen Malloy und dem Gangsterboß Johnny Friendly. Die Arbeiter auf der Leinwand und das Publikum im Kinosaal brachen den Helden! Erst als Malloy im Faustkampf besteht und sich mit blutendem Gesicht als stärker im Nehmen erweist denn die Gangster im Geben, hat er das Spiel für sich entschieden. Die bisher unschlüssige Herde der Arbeiter folgt ihm als ihrem neuen Führer. Ein Finale der Hoffnung? Zwar hat die gute Sache gesiegt, aber man muß sich fragen, ob überhaupt eine Sache gesiegt hat und nicht vielmehr der Stärkere.
Unzweifelhaft wird dem Faustkampf der Vorzug vor dem Rechtsweg gegeben. Nichts deutet darauf hin, daß die Arbeiter, die bis dahin als ein Haufen willenloser Feiglinge gezeichnet worden sind, zu einem demokratischen Verantwortungsbewußtsein erwacht sind. Sie folgen Terry dumpf, wie sie vorher Johnny Friendly gefolgt sind. Wer bürgt dafür, daß nicht eine neue diktatorische Herrschaft sich etabliert...
Die Apologeten des Films verweisen auf die individuelle Geschichte des Terry Malloy, in der sie einen „Aufstand des Gewissens” sehen wollen. Welches Gewissen steht dem auf? Das ganz private des Terry Malloy. Von sozialen Impulsen ist keine Rede.. Unter dem Anspruch einer kollektiven Mission — sozial oder religiös — ist „On the Waterfront" eine wilde Ironie. Absicht der Autoren? Ein Versagen der Gattung — des „vertieften” Melodrams? Einen Hinweis könnte wohl die persönliche Entwicklung der Schöpfer des Films geben. Beide kommen von der „Linken": Schulberg von der Presse, Kazan vom New Yorker „Group Theatre". Beide haben sich während der berüchtigten Hexenjagd auf Hollywooder Ex-Kommunisten und „fellow traveIlers" von ihren früheren Freunden distanziert. Wollten sie sich in dieser Geschichte eines „guten Verrats” ein Alibi schaffen? Kazans Stil bei diesem Film, eine Kombination aus dokumentarischem Verismus und technischem Raffinement, bezeichnete der englische Kritiker Lindsay Anderson als „hysterical filmmaking". Die Fotografie Boris Kaufmanns erinnert an die durchdringende Sachlichkeit der New Yorker Fotografenschule und Cartier-Bressons‚ ihr kommt die um Effekt bemühte Bildregie merklich in die Quere. Die Darstellung steht deutlich unter dem Einfluß des Flüster- und Schrei-Realismus des Group Theatre . .. Dieselbe Geschichte in der nüchternen Orthographie Rosselinis oder de Sicas aufgezeichnet, hätte wohl die Ungereimtheiten der Erfindung entlarvt.”

Die Verfasser wollen jedoch nicht verallgemeinern. Sie weisen darauf hin, daß es abseits-der „repräsentativen” Produktion, den Oscar-Gewinnern und Cannes-Preisträgern, mannigfache Zeugnisse gibt für den redlichen Willen amerikanischer Autoren und Regisseure, Mißstände zu kritisieren, die schlechten Mythen zu zerstören und eine Menschlichkeit jenseits der falschen Ge- und Verbote zu finden. Sie geben sich meist weniger auffällig als diese Streifen, deren lärmender Ehrgeiz oder aufgetragene Schlichtheit die Kritik ins System integriert, sie kanalisiert und ableitet in die Kläranlagen der ideologischen Kontrollinstanzen.