Kanal

Mittwoch, 28.11.1962 20:30  ! Köhlersaal
20:30 Kanal

Programmheft WS 1962/1963:

Er habe eine Gruppe von Menschen, Menschen, die nur leben wollen und das Leben lieben, in einer ausweglosen Situation zeigen wollen, sagt der 26jährige polnische Regisseur Wajda von seinem ersten Film „Der Kanal”. Dieser Filmbericht vom Warschauer Aufstand 1944 ist ein sehr harter Film. Aber er ist kein Film der Anklage. Jedenfalls werden nicht die Deutschen angeklagt, (die den Aufstand niederschlugen; im ganzen Film tritt nur ein Deutscher auf) und auch nicht die Russen (die am anderen Weichselufer zusahen, wie sich die Polen verbluteten).

Er klagt nicht dieser Film — er klagt, aber ohne jede Weinerlichkeit, ohne Pathos. „Ich liebe das Schöne, darum zeige ich die Mächte, die es zerstören," sagt Wajda in fast jungenhafter Naivität. Ein modernes Inferno zeigt dieser Film in Bildern unvergeßlicher Prägung. Wie etwa jener Augenblick, da ein Paar, daß sich unten im Kanal gefunden hat, endlich Licht erspäht und Hoffnung schöpft — und auf ein vergittertes Fenster stößt, das den Blick auf Wiesen und Felder jenseits der Weichsel freigibt, die sie nie betreten werden.

Der harte Realismus der italienischen Nachkriegsfilme diente als Vorbild. Aber die Polen sind keine Italiener. Diese Filmschöpfer sind auch versponnene Romantiker, Träumer und Poeten — ganz genügt ihnen die Wirklichkeit als Material nicht. Und wenn sie verändern, blicken ihnen Chopin und Cocteau über die Schulter und ihr Intellekt verführt sie zu seltsamen Stilbrüchen. Doch verträgt es dieser Film weniger als andere, nur mit der Ästethischen Elle gemessen zu werden.

(Wolfgang Ebert in der ZEIT)