Einmal wirklich leben

Mittwoch, 30.11.1966 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Einmal wirklich leben

Programmheft WS 1993/1994:

Ein einsamer, verwitweter Kommunalbeamter wird völlig aus den gewohnten Bahnen geworfen, als er erfährt, daß er an Magenkrebs leidet und nicht mehr lange zu leben hat. Nun versucht er, seinen letzten Lebensmonaten einen Sinn zu geben. Er findet einen Weg dazu, indem er sich für ein blockiertes Projekt, einen Kinderspielplatz, einsetzt und sich mit der trägen Bürokratie einen zähen Kampf liefert. Nach seinem Tod erfahren Kollegen und Angehörige, wie er eigentlich gewesen ist.
Eines der großen Meisterwerke Kurosawas, auf der Liste der besten japanischen Filme hinter den sieben Samurai noch vor Rashomon auf dem zweiten Platz. Ein mit Zurückhaltung, darstellerischer Präzision und optischer Eindringlichkeit gestalteter humaner, beunruhigender Film.


 

Programmheft WS 1966/1967:

Unter Kurosawas Gegenwartsfilmen ist „Leben“, was „Die sieben Samurai“ für seine historische Produktion bedeuten: zugleich Klage über die Unwiderruflichkeit des Geschicks, aber auch Hymnus auf die Möglichkeit des Menschen, im letzten Moment seiner Existenz neuen Sinn zu geben. Ein ältlicher Bürovorsteher erfährt, daß er nur noch wenige Monate zu leben hat. Zuerst sucht er sein verlorenes Leben in Vergnügungsetablissements nachzuholen, wo ihn jedoch plötzlich die Melancholie überwältigt. Als auch ein junges Büromädchen, dem er den Hof macht, nach einiger Zeit nichts mehr von ihm wissen will, faßt er den Entschluß, eine Petition zur Trockenlegung eines Sumpfes zu unterstützen, die Hausfrauen bisher erfolglos von Abteilung zu Abteilung trugen. Von unerhörter Initiative bewegt, kommt der Alte mit diesem Gesuch sogar beim Vizebürgermeister ein. Als der Sumpf trockengelegt und an seiner Stelle ein Spielplatz errichtet ist, weilt der alte Mann nicht mehr unter den Lebenden; auf der Totenfeier indes rechnen die Kollegen das Verdienst an der Aktion schon dem Vizebürgermeister zu; am nächsten Tag verfallen sie wieder in ihren altgewohnten bürokratischen Trott. Am Schluß der Rückblenden, die den letzten Teil des Films ausmachen, steht eine wundersame, Visionäre Szene: singend sitzt der Alte auf einer Kinderschaukel im herabrieselnden Schnee — ein eigenartiger Kontrast herrscht zwischen der sanften Bewegung der Schaukel und der starren, schon zu Stein gewordenen Miene des Alten: eine entfernte Spiegelung jenes Kontrastes zwischen Hoffnung und Resignation, der den ganzen Film durchzieht.
Wenige Filme besitzen zugleich eine so hohe Subtilität der Struktur und eine so reflektierte Menschlichkeit — allenfalls vielleicht de Sicas „Umberto D.” ...

Gelegentlich denke ich an meinen Tod. Dann werde ich unruhig, wenn ich mir überlege, wie ich meinen letzten Atemzug tun kann nach einem Leben wie diesem. Ich fühle, ich habe noch so viel zu tun, solange ich lebe. Ich fühle, ich habe nicht lange genug gelebt. Meine Seele empfindet Schmerzen bei diesem Gefühl. — Mein Werk IKIRU basiert auf diesem Gefühl. Der Held des Films wird sich seines bedeutungslosen Lebens bewußt in dem Augenblick, als er weiß, daß seine Tage gezählt sind. Viel mehr — er findet, daß er überhaupt nicht gelebt hat. Er will nun aus dem Rest Leben, der ihm noch bleibt, das Beste machen. Ich will eine Tragödie schreiben, geboren aus dieser menschlichen Schwäche.

Akira Kurosawa