Die Dame mit dem Hündchen

Mittwoch, 1.11.1967 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Die Dame mit dem Hündchen

Programmheft WS 1967/1968:

Für die Gesellschaft des vorrevolutionären Rußlands ist Jalta ein beliebter Treffpunkt. Dort erhofft man sich ein Abenteuer, eine Begegnung ein Irgendetwas, das helfen würde, die Trostlosigkeit eines in leeren Konventionen erstarrten Daseins für eine Weile zu vergessen.

Auch Gurow, ein in Moskau angesehener Bürger mit scheinbar gut funktionierendem Familienleben, gibt sich dieser Hoffnung hin. Wie alle anderen sitzt er zumeist im Kaffeehaus, und beobachtet die Umwelt und wartet auf etwas Neues. Da taucht auf der Strandpromenade eine junge Dame mit einem weißen Spitz auf. Sie ist immer allein. Niemand weiß etwas von ihr und so nennt man sie einfach „Die Dame mit dem Hündchen”.

Zufällig macht Gurow ihre Bekanntschaft. Es ergeben sich tägliche, gemeinsame Spaziergänge und Gespräche. Anna Sergejewna erzählt ihm ihre Geschichte: Sehr jung verheiratet, ist sie — sich dessen allerdings nicht klar bewußt — auf der Flucht aus einer unerfüllten Ehe. Gurow nutzt ihre verborgene Bereitschaft aus und stürzt Anna dadurch in tiefe Verwirrung und Verzweiflung. Sie drängt auf baldige Trennung; es kommt zu einem Abschied der ein Abschied für immer sein soll. Aber Gurow kann Anna nicht vergessen.
Durch die Begegnung mit ihr wird ihm die Leere seines bisherigen Lebens immer bewußter. Seine ganze Sehnsucht nach einem erfüllten Dasein klammert sich an ihr Bild. Schließlich fährt er zu ihr und erfährt, daß auch sie von der Erinnerung an ihre Begegnung nie mehr loskam. Anna verspricht ihm, ihn in Moskau zu besuchen. Von da an treffen sie sich mehrmals in einem öden Hotelzimmer der Hauptstadt. Eine dieser Begegnungen bringt beiden die Erkenntnis, daß sie so auf einem Weg ohne Hoffnung sind. Das neue Leben, das sie erträumen, ist noch weit. Fast zu weit. An diesem Abend wird es ein Abschied ohne Gewißheit und voll tiefer Melancholie.

Helmut Färber schreibt über diesen Film: Ich kenne keinen Film; auch nicht aus den französischen Dreißigerjahren, der mit solcher Hingebung und Ausschließlichkeit jedes seiner sorgfältig bedachten Bilder, jede beiläufige Geste und jedes unbedeutende Requisit so vollkommen in Stimmung verwandelt hat wie dieser. Und ich kenne kaum einen Film, dessen sensueller Reiz so stark ist, daß man wie hier selbst Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu spüren meint...

Es ist eine Liebesgeschichte, heutigem Empfinden fast etwas Sentimental, dem Einfühlenden aber doch sehr bitter. Die Atmosphäre formt sie — das heißt, sie ist in ihrer Problematik nicht absolut, sondern historisch. Die Wechselwirkung von Atmosphäre und Geschichte macht Chejfiz zum künstlerischen Prinzip: jedes Straßenbild bildet Bewußtsein der Personen mit ab, und selbst spontane, persönlichste Ergriffenheit ist von der großen, trivialisierenden Lethargie gezeichnet. Dadurch intensiviert die historische Qualität des Ganzen sich auf das stärkste. Sie steigert sich noch weiter dadurch, daß der heutige Betrachter die Einheit von Außenwelt und Innenwelt auch an sich, als Form historisch empfindet. Manche Pose der Darsteller, der Grauton der Bilder, die Weichheit des Lichts die ganze Szenerie bringt immer wieder Photographien aus dem 19. Jahrhundert ins Gedächtnis: das Erlebnis einer historisch gewordenen Form intensiviert noch einmal das Erlebnis eines historisch gewordenen Konflikts. Und es macht es zugleich zur „schwermütigen Erfahrung“. Man sieht dieses Vineta mit Beklemmung, doch nicht ohne Sehnsucht. . . . .