48 Stunden bis Acapulco

Mittwoch, 21.5.1969 21:00  ! Köhlersaal
21:00 48 Stunden bis Acapulco

Programmheft SoSe 1969:

Zu Beginn des Films gibt es einen älteren Mann, der sich eines jungen bedient, genauer: der profitieren möchte von dessen Neigung zum Abenteuer. Er schickt ihn nach Rom mit einer großen Summe Geldes, um Unterlagen zu holen, die ihm geschäftliche Vorteile bringen sollen. „Industriespionage ist heute das große Geschäft.“ Der Satz ist nicht aus „Acapulco“, sondern aus „Man lebt nur zweimal“, aber beide Filme meinen dasselbe: white collar crime. Der junge Mann, der Murnau heißt, fährt in Begleitung der Tochter jenes älteren Mannes, die ihn liebt und sich über all ihrer Liebe nicht vorstellen kann, welche Verlockung es für Murnau bedeutet, soviel Geld in der Hand zu haben. Dann gibt es noch ein zweites Mädchen, Monika; in sie ist Murnau verliebt, sie aber steht in Beziehung mit einem anderen alten Mann, der in Acapulco sitzt und auf dieselben Papiere reflektiert, die Murnau nach Schliersee bringen soll. Monika behauptet, der Alte in Acapulco biete ein Vielfaches von dem, was der andere in Deutschland bietet. Sie fliegt vor nach Acapulco, um dort Murnau mit den Papieren zu erwarten: für diesen eine doppelte Verheißung, aber sie erfüllt sich nicht. Weder das Geld bekommt er noch Monika. Er wird von den Handlangern des Alten in Acapulco umgebracht. Die Papiere verschwinden, ohne daß eine der beiden Parteien davon profitieren könnte. Man kennt diese Schlüsse aus vielen Kriminalgeschichten, und es bleibt jedem unbenommen, auch Acapulco einzureihen in die Kategorie der crime-doesn’t-pay-Geschichten. Für mich ist dieser Schluß ein einziges Zeichen für Desillusion, zu dem jede der beteiligten Personen ihren Teil an unerfüllten Wünschen, Lust und Gier beiträgt; diese akkumulieren sich zu einer Drohung, weil sie ahnen lassen, welch Potential an Zerstörung hinter den Wünschen jedes einzelnen steckt.

Als in Amerika die großen schwarzen Filme entstanden, versuchte man sie nicht nur aus den damaligen Depressionen zu erklären, sondern man empfand sie auch als Reaktion auf den höchsten Ortes propagierten Optimismus, der glauben machen sollte,daß es Bedrohungen für die herrschende Ordnung nicht gäbe. Wahrscheinlich mag Lemke nichts davon hören, daß man mit seinem Film für Deutschland eine Parallele zieht zu den amerikanischen Gangsterfilmen und deren Ablehnung des American Way of Life. Aber die Entschiedenheit, mit der dieser Film den Betrachter in einen Rhythmus reißt, der nicht der des täglichen Lebens ist, mit der er zeigt, wie gering der Schritt von einem zum anderen ist, besagt im Grunde genau das.

Lemke nimmt als Modell den amerikanischen Film im allgemeinen und den Gangster- und Abenteuerfilm im besonderen, dessen Gesten und Figurenkonstellationen, weil das ihm die Möglichkeit bietet, den Realismus zu überwinden, der dem Film inhärent ist und der die ewige Klippe für alle Filme ist, die mehr sein möchten als das, was es sowieso schon gibt. „Acapulco” versucht nicht einer existierenden Wirklichkeit zu gleichen, er ist das, was er darstellt, und nicht mehr. Der ganze Film ist gezeichnet von einem Antikulturaffekt, der nicht nur in der bewußten Trivalität seiner Geschichte sich äußert. Wenn man versucht, über ihn zu schreiben, spürt man, wie der Film sich geradezu dagegen sträubt, in Gedanken konvertiert zu werden.

Frieda Grafe nach „Filmkritik” 12/67