Killing

Mittwoch, 16.7.1969 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Killing

Programmheft SoSe 1969:

Kubrick ist in seinem Film „Killing“ weniger an der Geschichte selbst, als an der Erzähltechnik seiner Geschichte interessiert, weniger am „was“ als am „wie“. Die, wie er selbst feststellt, banale Vorlage benutzt er zu einer raffinierten, verblüffenden Konstruktion: der bis ins letzte Detail vorausgeplante Überfall auf ein Rennbüro wird vor dem Betrachter aus der Perspektive aller Teilnehmer rekonstruiert. Ein Kommentar sorgt für die Verbindung der einzelnen Mosaik-Steine, die erst am Ende den Eindruck des Ganzen vermitteln.

Kubrick macht in „Killing“ kaum den Versuch, seine Personen zu psychologisieren. Sie sind als Charaktere absichtlich blaß. Sie stellen ähnlich wie die Gestalten von Ophüls und Truffaut — Prototypen bestimmter gesellschaftlicher und menschlicher Erfahrungen dar. Johnny Clay, der Initiator und Planer des Überfalls, ist der einzige Kriminelle: er war fünf Jahre im Gefängnis, ist aber — das wird in einem Gespräch mit dem Catcher Morris explizit — „nicht besser oder schlechter als die anderen Menschen.“ Morris gibt Johnny den Rat: „Man muß sich anpassen!“ Dieser jedoch hat den Prozeß der Anpassung längst hinter sich: sein Ziel (Reichtum um jeden Preis) ist auch das Ziel des Bürgers; lediglich Johnnys Methoden differieren. Es sind die Methoden des Gangsters.

In den anderen Mitgliedern der Bande zeigt Kubrick, wie dünn die brave bürgerliche Tünche im Grunde ist — und wie schmal der Grad zwischen Ehrbarkeit und Verbrechen sein kann: George Pitty muß, um die finanziellen Wünsche seiner tyrannischen Frau zu befriedigen, an dem Coup teilnehmen; der Polizist Randy, weil er 3000 Dollar Schulden hat, die er, wenn er anständig bleiben möchte, nie wird abzahlen können; der Barkeeper Mike, weil auf normalem Weg für ihn keine Möglichkeit vorhanden ist, die Ärzte bezahlen zu können, die seiner Frau Hilfe bringen können.

Sie alle — sieht man von Morris und Sam, den beiden Profis, die Johnny für ein Fixum anheuert, ab — sind durchaus normale, bürgerliche Existenzen. Beseelt von dem Wunsch nach einem besseren, glücklicheren, ruhigeren Leben, erliegen sie der Versuchung, nehmen sie ihre Chance wahr.

In „Killing“, der als einer der profiliertesten Filme Kubricks gilt, zeigt sich nachdrücklich, daß dieser Regisseur seine Karriere als Photograph begann: Genau kalkulierte Lichteffekte, präzise, dekorative Bilder, die die Gesichter der Personen wie festgefroren erscheinen lassen.

„Killing“ ist bestimmt von dem Versuch, die Klischees des Genres und des amerikanischen Films formal und inhaltlich zu unterlaufen; es ist ein kühler, intelligenter Film, der vor allem auf manche jungen europäischen Regisseure einigen Einfluß hatte. Es ist ein Film, der in Amerika selbst ziemlich folgenlos blieb — der seinem guten Ruf jedoch durchaus gerecht wird.

Eckart Schmidt