Sommersemester 1957

Worte des Rektors:

Mit dem Sommersemester 1957 bricht für den „Studentischen Filmkreis THD" eine neue Ära des Schaffens an. Konnten im eigenen Bereich bisher nur Schmalfilme gezeigt werden, so ist mit der jetzt möglichen Ausweitung des Programms in die unvergleichlich viel größere Welt des Normalfilms das lange genug angestrebte Ziel ganz anderer Entfaltung erreicht. Von nicht geringerer Bedeutung aber erscheint ein zweites Merkmal dieser neuen Ära. Der schöne Raum, in dem die Filme nunmehr dargeboten werden können, bringt sichtbar zum Ausdruck, mit welcher Freude die Hochschule die vom Filmkreis geleistete freie studentische Arbeit fördert. Das eine allerdings ist sicher: hätte der Filmkreis in den zweieinhalb Jahren seines Bestehens nicht trotz der Beengung durch die Ungunst äußerer Verhältnisse den Ernst seiner Absichten, die Reife seines künstlerischen Urteils, aber auch seinen Wagemut und seine Tüchtigkeit immer wieder bewiesen, so würden sich nicht so viele Hände für ihn gerührt haben. So aber darf er mit Befriedigung auf das Erreichte blicken und den Einzug in die Aula als Anerkennung, als Dank und als Ansporn betrachten.

Für das Sommersemester 1957 wünsche ich dem studentischen Filmkreis, daß er mit der vorgelegten, vielverheißenden Spielfolge die schon erfreulich große Zahl seiner Freunde noch weiter erhöhen möge.

Im Zeichen des Normalfilms

Was wurde

Bereits von der ersten Vorstellung des Sommersemesters an bietet sich den Mitgliedern des studentischen Filmkreises ein in unserer TH völlig neues Bild — oder vielleicht sollte man lieber sagen zwei Bilder: das Bild eines neuen Raums und das projizierte Filmbild, das in seiner Größe und Helligkeit innerhalb der TH durchaus neu ist.

Der Raum darf wohl mit Recht als ein Schmuckkästchen in den Mauern der TH Darmstadt bezeichnet werden. Wer noch das zweifelhafte Glück hatte, in der alten Aula Vorlesungen gehört zu haben, der nimmt mit Staunen die Veränderungen zur Kenntnis, die sich hier vollzogen haben: Der Stahlbeton-Stuck und die von Pseudomarmorpfeilern flankierten Kamine mit den altehrwürdigen (Gips-)Büsten sind verschwunden. Stattdessen schaffen helle durchbrochene Holzwände und das ebenfalls helle und bequeme Gestühl eine freundliche und warme Atmosphäre. Aber die Wandkonstruktion soll nicht nur das Auge erfreuen, sondern auch das Ohr! Hinter den Holzleisten nämlich befinden sich verschiebbare Wände aus schallschluckendem Material, durch die der Raum den verschiedenartigen akustischen Anforderungen von Konzert, Vortrag bzw. Vorlesung und Tonfilmvorführung (und vielleicht auch wieder einmal Studio-Bühne?) angepaßt werden kann.

Das Filmbild — endlich auf einer richtigen Kino-Leinwand — nimmt eine annähernd viermal so große Fläche ein wie das in Saal 343 mit der Schmalfilmapparatur projizierte, und seine Helligkeit ist unvergleichlich viel größer, so daß auch die Vorführung von Farbfilmen keine Schwierigkeiten mehr bietet.

Wie es wurde

Schon bald nachdem der studentische Filmkreis mit seinen Vorführungen künstlerisch wertvoller und filmhistorisch interessanter Filme begann, mußte er erkennen, welche Grenzen ihm durch die ausschließlich vorhandene Schmalfilmapparatur gesteckt wurden. So tauchte bereits früh der Wunsch nach einer Vorführmöglichkeit für35 mm-Filme innerhalb der TH auf. Dieser Wunsch wurde an die Hochschule herangetragen, und es war für die Initiatoren des Filmkreis-Gedankens eine große Freude zu bemerken, mit welcher Aufmerksamkeit die Hochschule die Entwicklung dieses jungen Unternehmens verfolgte und welches Wohlwollen sie ihm schenkte. So wurde der Plan einer Normalfilmanlage für die TH schon früh ernsthaft diskutiert, und das Ergebnis war, daß bereits vor nahezu zwei Jahren der Senat unserer Hochschule die Anschaffung einer solchen Anlage beschloß. Aber als dann die Hochschule und der Filmkreis gemeinsam Ausschau hielten, um unter den bereits vorhandenen Hörsälen einen für den Einbau der Normalfilmanlage geeigneten zu finden, da türmten sich die Schwierigkeiten — nicht zuletzt wegen der für den Betrieb solcher Anlagen bestehenden Schutzvorschriften — derart, daß eingesehen werden mußte: Nur ein völlig neu zu erstellender Raum kann mit tragbarem Aufwand für die Projektion von 35 mm-Filmen hergerichtet werden. Als schließlich bekannt wurde, daß die in der Zeit des größten Raummangels nur provisorisch hergerichtete Aula umgestaltet werden sollte, da ergab sich ganz zwangsläufig der Gedanke, die Normalfilmanlage in die Aula einzubauen. Nach vielem Für und Wider, und nach manchem Entwurf für den neuen Raum kam es dann schließlich zu der heutigen Lösung, die unseren kühnsten Erwartungen in geradezu idealer Weise entspricht. So haben wir Grund genug, allen am Zustandekommen dieser Lösung Beteiligten unseren Dank auszusprechen. Es ist uns eine ganz besondere Freude, daß jeder Vorschlag und Wunsch des Filmkreises stets ernsthaft geprüft und auch weitgehend berücksichtigt wurde, soweit es die Gesamtplanung und der Etat erlaubten. Aber gerade diese Tatsache birgt für uns eine außerordentliche Verpflichtung in sich, und so hoffen wir —damit schneiden wir ein für uns sehr ernstes Problem an, — daß sich immer wieder Kommilitonen aller Fakultäten finden mögen, welche diese Verpflichtung empfinden, und die bereit sind, die Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen, welche die Hochschule an dieses Geschenk an die Studentenschaft knüpft. Denn nichts wäre bedauerlicher, als wenn die Idee, aus welcher der studentische Filmkreis entstand, mit der Zeit verwässert würde, und nichts wäre beschämender für uns alle, als wenn die Hochschule eines Tages erkennen müßte, daß sich die Studentenschaft an den zu ihrem eigenen Vorteil und Nutzen eingerichteten Dingen desinteressiert zeigte.

Was wird

Um es vorweg zu nehmen: Eine Ernüchterung mußte der Filmkreis bereits hinnehmen. Glaubten wir bisher, daß mit dem Vorhandensein einer Normalfilmanlage alle durch das geringe Schmalfilmangebot bedingten Schwierigkeiten in der Programmgestaltung mit einem Schlage beseitigt wären, so mußten wir jetzt erleben, daß für bestimmte uns interessierende Filme bereits die Verleih-Lizenz abgelaufen war und daß uns andere Filme nicht geliefert werden konnten, weil diese noch öffentlich laufen. So mußte oft ein für eine bestimmte Filmgattung typischer Film durch einen vielleicht weniger typischen — aber nichtsdestoweniger ebensoguten — Film ersetzt werden. Wir wollen nun auf das thematisch etwas schwierige und für den filmhistorisch weniger Interessierten unergiebige Programm des Winters ein der sommerlichen Stimmung angemesseneres und leichteres Programm folgen lassen. Dabei soll der Versuch unternommen werden zu beweisen, daß leicht nicht unbedingt identisch gleich seicht sein muß. Auch das Beiprogramm wird sich der Grundstimmung der Hauptfilme anpassen und vorwiegend Zeichentrickfilme bringen. Daneben soll aber auch die Reihe bemerkenswerter Kriminalfilme — in der wir u. a. schon den Rene-Clair-Film Das letzte Wochenende und Fritz Langs: Das Testament des Dr. Mabuse brachten — mit M, einem weiteren bedeutenden Kriminalfilm aus den Anfängen der Tonfilmzeit, und mit Der Puritaner‚ der mehr als ein bloßer Kriminalfilm ist — fortgesetzt werden.

Was sonst noch geschieht

Neben den reinen Filmvorführungen haben wir im vergangenen Wintersemester erstmals auch in einem größeren Rahmen mit Diskussionen über die gezeigten Filme begonnen. Zu diesem Zweck haben wir uns in die Katakomben unter der Otto- Bernd- Halle zurückgezogen, die uns vom Studentenwerk freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden. Hier fand sich bald regelmäßig nach der letzten Vorstellung ein mehr oder weniger großes Häufchen treuer Filmkreismitglieder zusammen, um bei Bier und Pepsi-Cola über das soeben Gesehene zu diskutieren.

Bevor es jedoch dazu kommen konnte, mußte das kleine Häuflein aktiver Filmkreismitglieder einmal alles Filmgerät fortlegen und dafür Maurerkelle, Farbtopf und Pinsel zur Hand nehmen um die Räume etwas „wohnlich" zu gestalten. Die Teilnehmer bei den Diskussionen im Sommersemester werden aber einen weiteren beachtlichen Fortschritt registrieren können: Zwei große lndustrieunternehmen haben uns durch ihre großzügigen Spenden zu einem wunderbaren Fußboden und zur reichlichen Beleuchtung der Räume verholfen.
ln unserem Keller fand auch die inoffizielle Uraufführung des bei den internationalen Leichtathletik—Wettkämpfen der Studenten im September vorigen Jahres hergestellten Films statt („inoffiziell" deswegen, weil er noch keine Titel besaß), der in der Darmstädter Presse freundliche Kommentare fand. Zur Zeit befinden sich noch in Arbeit ein Film über eine vom Technischen Hilfswerk durchgeführte Sprengung und der Film vorn vorjährigen Hochschulfest.

Und eine kalte Dusche

Normalfilme sind teuer. Ja, die Mieten für einen abendfüllenden Normalfilm sind sogar drei bis viermal so teuer wie für einen entsprechenden Schmalfilm und ein Kurzfilm im Normalformat kostet oft fast genausoviel wie ein abendfüllender Schmalfilm. So müssen auch wir denn in den sauren Apfel beißen und unsere Mitgliedsbeiträge erhöhen. Wir trösten uns dabei keineswegs mit der Tatsache, daß auch die meisten Kinos ihre Eintrittspreise erhöht haben — denn es liegt uns gar nichts daran, uns mit einem normalen Kino zu vergleichen, und zweitens sollte es nicht heißen, wir schlössen uns einfach der allgemeinen Entwicklung an, um dabei noch ein Geschäft zu machen. Nur die erhöhten Unkosten zwingen uns zu dieser unerfreulichen Maßnahme, und wir können nur hoffen, daß Sie dafür Verständnis haben und uns auch weiterhin die Treue halten werden. Schließlich kommt der erhöhte Beitrag ja Ihnen wieder zugute, wenn Sie in Zukunft Filmvorführungen mit allen Vorteilen des Normalfilms — und sofern Sie Student der TH sind noch dazu gewissermaßen im Hause — haben werden. Unnötig zu betonen, daß die aktiven Mitglieder des Filmkreises aus der Beitragserhöhung keinerlei Vorteile erhalten, denn sie arbeiten auch weiterhin ohne jede Vergütung.